Sonntag, 8. April 2012

Atacama Crossing Etappe 4, 40km (5h06min)

Meine innere Uhr weckte mich auch an diesem Morgen der vierten Etappe pünktlich um 06:00 Uhr. Es ist schon interessant, wie der Organismus sich in kürzester Zeit einstimmt und im Vorfeld ungewohnte Abläufe plötzlich harmonisch ineinander übergleiten. Die Rituale waren klar einstudiert. Nach der kurzen Morgentoilette (an jedem Etappenort waren sechs ToiTois aufgebaut) kroch ich zurück ins Zelt, um mir mein Müsli zuzubereiten. Um Gewicht zu sparen hatte ich auf einen Teller oder weiteres Geschirr verzichtet. Somit bastelte ich mir jeden Morgen aus einer Plastikflasche eine praktische Müslischale, indem der Hals der Flasche mit einem Messer abgeschnitten wurde. Der Flaschenboden wurde somit zum Müslitopf umfunktioniert.  Während insbesondere meine britischen Zeltfreunde mit heissem Porige zu kämpfen hatten, genoss ich ein 1A schweizer Früchtemüsli, welches ich mit diversen Geheimwaffen zusätzlich aufgemotzt hatte. Dazu schlürfte ich gemütlich einen Kaffee aus Instantpulver. Nachdem der Magen versorgt war, widmete ich mich immer ausführlich meinen Füssen. Die Blasen vom Vortrag wurden genauestens inspiziert und überprüft und notfalls noch einmal mit einem Pflaster versorgt. Hierbei unterstütze mich oftmals mein Zeltmitbewohner (ZMB) Richard. Diese Prozedur begann allerdings meistens schon am Vortrag, indem die Blase aufgestochen (nicht schmerzhaft) und anschliessend mit Jod beträufelt wurde (sehr schmerzhaft). Dieses Jod hat sich so richtig schön in die Haut gefressen und dort jegliches Bakterium abgetötet. Leider hat es auch meine Schmerzgrenze empfindlich überschritten, so dass ich jedesmal schon vor der Operation anfing zu heulen! Von wegen „Indianer kennen keinen Schmerz“!  
Anschliessend wurden die Füsse und der untere Rücken mit einem feinen Kräuterbalsam von Soglio eingerieben. Eine Stunde der morgendlichen Rituale war damit schon mal rum. Im weiteren Verlauf wechselte ich die Freizeitkleidung (Hose und Shirt) gegen die Laufbekleidung (Hose und Shirt) und füllte meine Wassertanks mit Winforce Carbo Plus Pulver. Weitere Details im Schnelldurchlauf: Schlafsack einpacken, Isomatte einrollen, Klamotten im Rucksack verstauen. Raus aus dem Zelt und nochmals zum WC. Aus dem Megaphon ertönte schon die Stimme von Alistor „Morning briefing in 5minutes, it`s a beautiful day, blabla…“. Zähne putzen, Sonnencreme im Gesicht verteilen, Schuhe vom Sand befreien, letzter Blick ins Zelt. 07:50 Uhr Rucksack schultern und los ging es. An der Startlinie wurde wie immer von 10 auf 0 herunter gezählt und mein Grinsen flog wie automatisch in mein Gesicht.  
Die Etappe des vierten Tags war anfänglich genau nach meinem Geschmack: Das Gelände zog sich leicht steigend über grosse und kleine Steinplatten, die man mit flinken Füssen und guter Koordination bestens meistern konnte. Auf dem Mond muss es ähnlich aussehen, dachte ich. So karg und unbewohnt. Im schnellen Walkingschritt machte ich schnell Strecke gut und rannte wie gewohnt im vorderen Feld mit. Irgendwie hatte ich immer ein paar „Hasen“ um mich herum, die das Tempo machten und an deren Fersen ich mich klebte. Meine „Hasen“ bei den ersten 10km waren Frank, Michael und Marco vom Team Germany/ Switzerland. Die drei erprobten Ultraläufer machten in ihrem grünen Einheitslook einen entspannten Eindruck und wirkten auf mich als ein sehr eingespieltes Team. Zog einer von den Dreien davon, rief er wenig später die Namen der anderen auf, um sich zu vergewissern, dass sie ihm im Tempo folgten. Da ich mich zwischen die drei gemogelt hatte, rief ich einfach auch meinen Namen, als ich an der Reihe war. Zudem waren sie auch noch sehr hilfsbereit, als mir schlagartig einfiel, dass ich vergessen hatte meine Elektrolyttabletten aus dem Hauptfach des Rucksacks griffbereit in die Brusttasche zu packen. Im Laufschritt kramte Michael dann in den Tiefen meines Rucksacks, so dass ich nicht anhalten musste. Das nenn ich Teamwork! Vielen Dank!
Nachdem wir dann zusammen den ersten Checkpunkt passiert hatten, breitete sich vor uns eine unendlich weite und flache Sandlandschaft aus, auf der wir 10km laufen sollten. Panik stieg in mir auf. Ich brauchte meine Geheimwaffe: Punkmusik! Hektisch stopfte ich die Stöpsel in die Ohren und startete den i-pod mit 380 Liedern von NOFX. Als mir Fat Mike dann in die Ohren brüllte, fühlte ich mich schnell wohler. Zudem zog ein neuer „Hase“ mit starken Beinen zu mir vor. Joel aus den USA erwies sich für mich als hervorragender Tempomacher, da wir beide ziemlich genau den gleichen Laufrhythmus hatten. Somit peitschen wir uns gegenseitig über die staubtrockene Sandstrasse, die niemals enden wollte. Joel hatte dann noch das Pech mit dem Fuss in einen ziemlich grossen Stachel zu treten, der sich durch die Sohle bis zum Socken durchbohrte. Somit brauchte er am nächsten Checkpunkt etwas mehr Zeit, so dass ich alleine weiterlief. Zum ersten Mal nach langer Zeit war ich wieder auf mich allein gestellt. Kein Hase begleitete mich und auch in der Ferne sah ich nur vereinzelt Läufer. Ich genoss diesen kurzen Zustand der „Stille“ und konnte mich ganz auf mich konzentrieren. Zum Glück wechselte dann das Terrain von flacher Sandstrasse auf krustigen Salzboden. Hier konnte ich meine guten koordinativen Fähigkeiten voll ausspielen und sprang wie ein Gemsli über den stacheligen Boden und arbeitete mir den Weg durch diese krasse Krustenlandschaft. Ich hatte richtig viel Spass! Nach und nach wurde der Boden aber immer gröber, so dass ich mir wie in einer Tropfsteinhöhle mit Stalagmiten vorkam. Ich musste ins Walkingtempo wechseln, was aber nicht bedeutete, dass ich langsamer wurde. Im Gegenteil: ich schnallte meine gewohnten „Siebenmeilenstiefel“ an und pflügte durch die Salztürme, dass es nur so klirrte. Rings um mich herum war nur flacher Boden, auf dem die Hitze vibrierte. Das war also die trockenste Wüste der Welt! Und ich mitten drin ganz allein! Ich zog mein Tempo etwas an und schon bald hatte ich die kleine Gruppe aus Läufern vor mir eingeholt. Zu meiner grossen Überraschung waren es Daniel und Mark aus Zimbabwe, mit denen ich ja schon am Vortag viel Spass hatte. Mark, „the Horse“ begrüsste mich mit einem Wiehern (eine Macke von ihm) und ich wieherte natürlich aus voller Kehle zurück (auch eine Macke von mir). Somit walkten wir fortan gemeinsam durch das Feld, was sich mittlerweile in braunen, teils matschigen, teils extrem trockenen Boden geändert hatte. Es erinnerte mich stark an Schokoladenkuchen und so erzählte ich Mark pausenlos etwas von Torten und Kuchen bis wir zum letzten Checkpunkt kamen. Es war heiss, alles klebte. Schnell die Flaschen aufgefüllt und dann auf die letzten 5km über eine flache Sandstrasse. Mark zog mich in einem sehr hohen Tempo über diese elendig flache und langweilige Strasse, so dass ich zum ersten Mal schneller als erlaubt rannte. Der Zieleinlauf war nach dieser strapaziösen Etappe mehr als verdient. Und hätte ich auch nur in entferntester Art und Weise geahnt, was mich im Camp Nr. 4 erwarten würde, stünde hinter meiner Etappenzeit eine neue Bestmarke. Unsere Zelte waren zwischen zwei grossen Tümpeln aufgebaut, in denen eiskaltes Badewasser auf uns wartete. Mit einem lauten „Juchaijippppiiiii“ sprang ich kopfüber in das kühle Nass und war ausser mir vor Freude! Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam mich.
Da die Sonne auch an diesem Tag ziemlich brannte, war ich in Sekundenschnelle wieder trocken und widmete mich meiner intensiven Regeneration. Musik hören, schlafen, erzählen, zuhören, etwas essen. Doch dieser heisse Tag machte meinem Kreislauf enorm zu schaffen. Da auch kein Luftzug durch das Camp wehte, stand die Hitze wie in einer finnischen Sauna. Mein Organismus fuhr auf absoluter Sparflamme, was zur Folge hatte, dass ich mich sehr unwohl in meiner Haut fühlte. Ich erlebte mich plötzlich ziemlich schwach und ausgepowert und machte mir Vorwürfe, dass ich die Etappe zu schnell und zu hart gelaufen sei. Ich vegetierte auf meiner Isomatte nur so vor mich hin. Roberto rief dann die Lebensgeister in mir wieder wach, als er auf die Idee kam, eine Bouillon zu trinken. Mit dieser heissen, salzhaltigen Suppe kam Löffel um Löffel der Kreislauf wieder in Schwung und schlagartig veränderten sich auch meine Gedanken. Der Schwächeanfall wich der Nervosität vor der nächsten Etappe: 73,4km. Long March.  In weiter Vergangenheit hatte ich für diese Etappe mal mit 17 Stunden kalkuliert und war mir selbst dann noch nicht sicher, ob ich es in der Zeit schaffen würde. Ich hatte für die bevorstehende Distanz keinerlei Plan oder Vorstellung. Nur das Ziel sah ich immer klar vor Augen. In Gesprächen mit Roberto, Massimo oder auch mit Joel spürte ich eine einzigartige positive Energie, die mir innerlich sehr viel Kraft gab. Ich hatte zwar immer noch keine Strategie, aber ich spürte innerlich, dass ich es schon irgendwie bewältigen würde. „Sei flexibel und achte auf deinen Körper“, das waren meine Worte; so wie ich sie mir schon oft bei meinen Trainingsläufen vorgesagt hatte. „Ich kann das, weil ich es geübt habe“, wurde zu meinem Leitsatz für die lange Etappe. Ich packte am Vorabend bereits meinen Rucksack, so dass ich meine Energie- und Elektrolytration parat hatte. Mit einem guten Gefühl rollte ich mich dann auch schon bald in meinen Schlafsack. Ich war echt erstaunt, dass ich meine Beine nach vier Etappen (ca. 160km) noch immer so frisch anfühlten. Echt bemerkenswert.  
Mein Musiktipp: NoFx "The separation of church and skate"









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