Tag 1: 52km, 1873 Höhenmeter (hm) bergauf, 360 hm berab, ca. 8 Stunden.
In kurzen Hosen und T-Shirt starte ich frühmorgens am Lago Maggiore in Ascona am tiefsten Punkt der Schweiz gestartet. Zu dem Zeitpunkt liegen noch 220 Kilometer Wegstrecke und 9500 Höhenmeter im Aufstieg vor mir. Die sommerlich heissen Temperaturen machen mir gleich zu Anfang ziemlich zu schaffen. Ich muss an jedem Dorfbrunnen anhalten und meine Trinkflaschen auffüllen. Jede Schweißperle spüre ich auf der Haut. Ich kann es gar nicht abwarten, endlich in die kühle Gletscherwelt im Monte Rosa Gebiet in der Nähe von Zermatt einzutauchen.
Mein Weg führt mich durch Losone bis nach Binasca ins Valle Maggia. Das satte Grün der Landschaft erinnert mich an einen Dschungel; die hohe Luftfeuchtigkeit trägt ihren Teil dazu bei. Immer wieder suche ich Wanderwege, die im Schatten liegen oder die durch einen Wald führen, um mich vor der Sonne zu schützen. Meine einzige Navigationshilfe ist ein Stapel Wanderkarten. Und wenn ich die Wege nicht exakt und haargenau lese, verlaufe ich mich. Das hat zur Konsequenz, dass ich immer wieder ein paar Kilometer und Höhenmeter zusätzlich mache. Ich trage es mit Humor. Die Dörfer rollen nur so an mir vorbei und schon bald erreiche ich die Abzweigung ins Tal nach San Carlo. Auf einer asphaltierten Strasse spule ich die Kilometer mit steter Höhensteigung ab. Zu meiner Freude erreiche schon bald den Wanderweg zu CAS Hütte Basòdino- die Freude weilt nur kurz bei mir, da es die ersten 800 Meter steil bergauf gehen und ich zum ersten Mal ein bisschen Erschöpfung in den Beinen spüre. Durch das starke Schwitzen verliere ich zu viele Elektrolyte, als dass ich sie 1:1 wieder zuführen kann. Als Folge spüre ich leichte Krämpfe in den Oberschenkeln. Ich esse und trinke fortan in regelmässigen Abständen und schalte das Mentaltraining ein: Sätze wie: "Mit jedem Schritt komme ich dem Ziel näher" oder "Jeder Schritt entfernt mich mehr vom Start" helfen mir exakt zur richtigen Zeit. Ungläubig schaue ich auf die Uhr, als ich endlich die letzten Meter zur Hütte laufe: Für die 950 Höhenmeter im Aufstieg habe ich gerade mal 60 Minuten gebraucht! Nun freue ich mich auf ein reichhaltiges Dinner auf der Berghütte. Hüttenchef Ueli grilliert feine Fleischwaren und ich erhole mich schnell. Die gemütliche Stimmung auf der abgelegenen Berghütte tut mir gut. Ueli gibt mir für den nächsten Tag noch wertvolle Tipps und leiht mir einen Eispickel, damit ich die Altschneefelder in 45 Grad steilen Rinnen gut queren kann.
Tag 2: Basòdino Hütte bis Fiesch: 65km, 2400hm bergauf, 2900hm bergab, ca.8 Stunden.
Bevor die Sonne die Berggipgel erglühen lässt, bin ich nach einem reichhaltigen Frühstück wieder auf den Beinen in Richtung Cristallinapass. Mit dem Eispickel im Gepäck fühle ich mich wohl; man weiß ja nie, was alles passieren kann. Der Ausblick über die Seenlandschaft am Pass ist atemberaubend. Die Rinnen sind ohne Eispickel, dafür mit guter Konzentration, im schnellen Schritt passierbar. Trotzdem brauche ich für diesen 12 Kilometer langen Abschnitt ca. 2 Stunden. Zudem verlaufe ich mich auf den zahlreichen Wanderwegen noch und muss ca. 2 Kilometer bergauf zurück bis zur nächsten Abzweigung. Ich ärgere mich und dieser Ärger überträgt sich gleich auf meine Füße, die an einem Stein hängen bleiben und ich stürze. Da ist sie wieder, die Flammersfeld`sche Rolle! Nichts passiert, einmal herzhaft lachen, und weiter geht es in Richtung Nufenenpass. Auf dem Wanderweg liegt noch viel Schnee, so dass ich nur mühsam vorwärts komme. Gegen Nachmittag erreiche ich endlich Ulrichen. Bis zum Etappenziel sind es noch 20 Kilometer, die am Fluss "Rotten" entlang bis nach Fiesch führen. Die Sonne brennt mit gefühlten 38 Grad auf mich herunter, und ich tanke an jedem Brunnen möglichst viel Wasser und laufe sogar durch Wassersprenzler, die die Bauern zur Befeuchtung der Wiesen aufgestellt haben. Die letzten Kilometer nach Fiesch ziehen sich endlos, und ich bezweifle zwischendurch, ob es das Dorf überhaupt gibt! Nach knapp 8 Stunden reiner Laufzeit erreiche ich dann endlich die Jugendherberge. Meine Füße qualmen, die Körpertemperatur ist sicherlich im Fieberbereich. Ich möchte nur noch in ein Becken mit Eiswürfeln springen...
Tag 3: Fiesch - Zermatt: 68km, 1300hm bergauf, 760hm bergab, 7h52min.
Die Vorfreude am dritten Tag ist gross. Ich freue mich sehr, dass ich nach Zermatt rennen kann und male mir den Anblick des Matterhorns aus. Aber zuerst will ich die Strecke von gut 68 Kilometern noch gut bewältigen. Bis nach Visp läuft es sehr gut. Ich bin im Flow und die Kilometer rollen nur so an mir vorbei. Kurz vor Visp muss ich mich zwischen zwei Wanderwegen entscheiden: links oder rechts am Fluss entlang. Ich entscheide mich prompt für die falsche Variante. Der Weg wird immer schmaler und das Gestrüpp immer höher. Ich frage mich, wann auf diesem Pfad das letzte Mal jemand gewandert ist und schlage währenddessen immer wieder Dornenbüsche aus dem Weg. Zu meinem Erschrecken lande ich auf einem grossen Fabrikgelände mit rauchenden Schornsteinen und lauten Maschinen. Ich muss über Zäune klettern und unter einer Brücke durchkriechen, um einen Weg zu kommen, der zu einer Straße führt. Dieser kleine Umweg kostet mich Nerven und Kilometer und als ich dann auch noch in die überfüllte und laute Stadt Visp komme, ist die Freude und der Spass auf einmal passé. Augen zu und durch, denke ich und renne an Kaufhäusern und stinkenden Autos vorbei. Als ich endlich wieder den Wanderweg unter den Füßen spüre, atme ich erleichtert auf. Wieder geht es durch zahlreiche Dörfer, Wälder und Ortschaften bis ich endlich Täsch erreiche. Von dort brauche ich noch 40 Minuten, um in Zermatt anzukommen. In Zermatt begrüsst mich ein Horde Touristen aus der ganzen Welt und ich suche mir meinen Weg bis zum Hotel Backstag Vernissage. Mit letzter Kraft lasse ich mich in die Badewanne, die mitten in meinem Zimmer steht, fallen und genieße von dort die Aussicht auf das Matterhorn! Besser geht`s nicht! Doch die Ruhe hält nur kurz an: ein SMS vom Bergführer schreckt mich hoch. Die Wetteraussichten für den geplanten Gipfel am 5. Tag sind mehr als schlecht und lassen eine Besteigung unter keinen Umständen zu! Panik und negative Gefühle steigen in mir hoch. Ich beginne zu zweifeln, ob mein Projekt durchzuführen ist. So nah vor dem Ziel aufgeben? Nach einem kurzen Telefonat und Check der Wetteraussichten ist es klar: Sturmwarnung und Windböen bis 130km/h lassen es wirklich nicht zu. Aber dann die positive Nachricht: Wetterbesserung mit 10 Stunden Sonnenschein für den 6. Tag! Ich arrangiere alles so, dass ich einen Tag mehr auf der Monte Rosa Hütte bleiben kann und eben erst einen Tag später die Gipfelbesteigung in Angriff nehme.
Tag 4: Zermatt - Monte Rosa Hütte: 15 km, ca. 4h30. 1900 m Aufstieg, 711 m Abstieg.
Ich erwache im gemütlichen und äußerst bequemen Bett im Hotel Backstage und habe ein ungutes Gefühl. Die Schlechtwetterfront ist im Anschmarsch und es ist gerade mal 6 Uhr morgens. Der Wind rüttelt an den Fensterläden und ich werde nervös. Soll ich bei Sturmwarnung und Gewitterrisiko wirklich auf die Monte Rosa Hütte steigen? Mir bleibt kein anderer Plan. Mit schwerem Bergrucksack mache ich mich auf den Weg in Richtung Riffelberg. Immer wieder schlagen mir Windböen um die Ohren und ich bekomme es mit der Angst zu tun. Gegen die Naturgewalten kann man nichts machen. Ich kann nur hoffen, dass ich gut ankommen werde. Der Wind wird immer stärken und ich suche Schutz, indem ich mich einfach auf den Boden werfe. Trotz meines schweren Gepäcks auf dem Rücken fühle ich mich für diesen heftigen Sturm zu leicht. Es beginnt zu regnen und ich verkrieche mich tief in meine Regenjacke. Es ist noch sehr weit bis zur Hütte und ich bin noch lange nicht auf dem Gletscher angekommen. Alle paar Minuten schauen ich zu den schwarzen Wolken, die über den mächtigen Bergen hängen und nichts Gutes verheißen. Endlich erreiche ich den Gletscher und schnalle die Steigeisen an. Das Eis ist mit dem Regen einfach zu rutschig und ich will keinen Sturz riskieren. Ich springen über Gletscherspalten oder umgehe diese im großen Bogen. Alles kostes Zeit und die Zeit rennt gegen mich und für das Wetter. Noch schnell die steile Geröllwand hochkraxeln und dann bin ich endlich in der sicheren Hütte angekommen. Und schon bricht auch das Wetter zusammen und es beginnt heftig zu regnen. Was bin ich froh, ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben. Das sehr nette und freundliche Hüttenpersonal kümmert sich herzlich um uns Bergsteiger und schon bald fallen mir die Augen zu.
Tag 5: Monte Rosa Hütte
Sturm und Windböen rütteln seit 2 Uhr in der Früh an der Hütte, das mir angst und bange wird. Auch als das Tageslicht hereinbricht, hat sich an der Wetterlage nichts geändert. In Gedanken bin ich bei meinem Bergführer Cristian Balducci, der den Weg zur Hütte noch vor sich hat. Da er aus Italien anreist, und die Lifte allerdings alle wegen Sturm geschlossen sind, muss er den Umweg über Zermatt fahren. Gegen Abend schafft er es auf die Hütte und mit ihm zeigt sich auch zum ersten Mal die Sonne. Zudem ist auch noch Basti Haag mit dabei, der extra aus München anreist, um mich auf der letzten Etappe zu begleiten. Und meine beiden Beachboys- auch Kamerateam genannt- die mich seit Beginn an filmen. Beachboys deswegen, weil beide am Strand von Südafrika aufgewachsen sind und mit Bergen und Schnee nicht so viel Erfahrung haben.
Ich bin sehr froh und sehe dem morgigen Gipfeltag mit Freude entgegen.
Tag 6: Dufourspitze auf 4634 M.ü.M.
Um 2 Uhr bin ich hellwach. Es geht los. Gut, dass ich das Material am Vorabend gepackt habe, so dass ich nur noch frühstücken muss. Es gibt Müsli und Brot mit Marmelade, dazu einen Kaffee. Mit dem Licht der Stirnlampe suchen wir uns gegen 2:45 Uhr den Weg, was nicht einfach ist. Der Neuschnee des vergangenen Tages macht es sehr schwierig, die richtige Route zu finden und nicht in die großen und zahlreichen Gletscherspalten zu fallen. Wir kommen dann aber gut voran und als die Sonne aufgeht, schimmern die weißen Gletscher und den schönsten Violett,- und Orangetönen.
Mit uns sind vielleicht noch 20 weitere Bergsteiger in Richtung Gipfelkette unterwegs. Jeder hat mal die Aufgabe zu spuren, da das Laufen in der Höhe um 4000 Meter immer anstrengender wird. Das letzte Stück zum Gipfel wird nochmals zur Geduldprobe. Die Fixseile sind sehr vereist, und es ist schwierig, den richtigen Halt zu finden. Eine andere Seilschaft, die kurz zuvor eingestiegen ist, löst zudem viel Eis und Schnee aus, so dass ich aufpassen muss, nicht getroffen zu werden. Nach dem vereisten Couloir geht es nochmals für wenige Meter über einen sehr ausgesetzten Grat. Hier darf ich mir keinen Fehltritt erlauben- aber Cristian hat mich auch sicher im Seil angebunden. Und dann ist es soweit:
Ich stehe auf dem höchsten Punkt der Schweiz, die Sonne lacht mir ins Gesicht, die Aussicht ist fantastisch und mir ist es einfach nur kalt. Nach ganzen 5 Minuten Gipfelerlebnis will ich wieder runter, weil mein gesamten Körper vor Kälte und/ oder Anstrengung zittert.
Als wir wieder an der Monte Rosa Hütte ankommen, sind gerade mal 2 Stunden vergangen. Cristian schaut mich nur ungläubig an: 1734 Höhenmeter mit Abseilen und Gletscherquerung. Wenn der Motor halt mal läuft...
Bis nach Zermatt vergehen dann nochmals 3.5 Stunden. Zurück in Zermatt tobt in meinem Körper immer noch das Adrenalin, und ich bin so aufgedreht, dass ich gar nicht weiß, was ich zuerst machen soll. Ich fühle keine Muskelschmerzen, meine Füße sind blasenfrei (oh Wunder!). Ich trinke in einem Zug einen Liter Wasser und dann noch einen halben Liter Cola, verputze einen großen Countryburger im Restaurant Snowboat und gönne mir ein Bier. Alles fühlt sich so leicht und losgelöst an.
Das Projekt wäre ohne ein Vielzahl von Supportern und Gönnern nicht möglich gewesen. Ich danke Euch von Herzen:
Xaver Walser und Andrew King (Filmteam und Beachboys)
Petra Hammelmann und Bertold Zink
Bettina Plattner-Gerber
Evelyne und Heinz Julen (Hotel Backstage Zermatt)
Curdin Conrad (Skiservice Corvatsch) und Driver Gregorio
Familie Ris (Romantikhotel Castello Seeschloss Ascona)
Jürg Degiacomi
Cristian Balducci (Bergführer)
Ueli Nyffenegger (CAS Basòdino)
Matthias Wolk (Real TV)
Jens Lange (PR)
Family and friends
And: Giuseppe Milanesi für die Idee Bottom Up Climbs!
Xaver Walser wird nun einen sensationellen Film über mein Abenteuer kreieren! Support,- und Sponsoringanfragen nehme ich dafür gerne entgegen!
Foto Copyright Andrew King |
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AntwortenLöschenIch habe mir jetzt auch einen Sonnenschirm geholt, um nicht mehr in der starken Hitze sitzen zu müssen. Ich freue mich schon auf den Sommer.
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