Ich wollte einfach mal wissen, wie es sich anfühlt, bis auf 5895 Meter zu rennen. Nicht 5895 Meter in der Ebene, sondern in der Vertikalen! Und da ich schon mal in Tansania wegen des Bottom Up Projekts war und vom Speedrun wusste, wollte ich es ausprobieren. Das war meine Intention. Mehr nicht. Ich wollte nicht schneller als jemand anderes sein. Ich wollte einfach mal wissen, wie es sich anfühlt und wie schnell ich sein kann. Das ist mein Motto bei meinen Projekten. Solange ich nicht selber gespürt, gefühlt, erfahren habe, kann ich nicht mitreden. Ich möchte selber Erfahrungen machen und lernen. -
Gelernt habe ich bei meinem Speerdun ziemlich viel. Wofür ich diese Erfahrungen brauche? Ich weiß es nicht; aber ist einfach ein irres Gefühl, etwas geschafft zu haben, was einem lange im Kopf herumgeschwirrt ist. Und dabei geht es nicht um den super-mega-Erfolg. Es geht darum, etwas auszuprobieren und zu sehen, ob die Theorie in die Praxis umsetzbar ist.
Um 5:20 Uhr drücke ich den Startknopf auf meiner GPS-Uhr. Das Licht der Lupine-Stirnlampe brennt auf Vollgas und der stockfinstere Regenwald wird durch den Schein der Lampe hell erleuchtet. Der Weg vom Umbwe-Gate auf ca. 1600m schlängelt sich durch dichten, saftigen Regenwald. Die Luft ist feucht und mein Atem wird im Schein der Lampe sichtbar. Da ich die letzten 10 Tage nicht gerannt bin, dauert es eine Weile, bis sich mein Körper auf das Tempo einstellt und die Bronchien sich öffnen. Ich schnaufe laut durch Mund und Nase- ein beruhigendes Geräusch, das fast alle anderen Geräusche des Waldes übertönt. Ich möchte nicht wissen, welches Tier mich beobachtet und fokussiere meine Gedanken extrem auf das Licht und meinen Atem. Nach gut einer Stunde wird es langsam hell und das Morgengrauen zeichnet sich ab. Nach 1h47min erreiche ich bereits das erste Camp auf ca. 2900m. Ich freue mich sehr, als mir ein Guide entgegenspringt und ich meine Wasserflaschen auffüllen kann. Mittlerweile ist es richtig hell geworden und ich kann die Stirnlampe ausschalten. Schnell noch einen Bissen in den Oat King-Riegel mit Erdnussbuttergeschmack und dann im steten Rhythmus weiter bis zum Barranco-Camp auf ca. 3900m. In diesem Camp sind ziemlich viele Wanderer unterwegs und putzen sich die Zähne oder schlürfen den ersten Kaffee- es ist ja gerade mal 8:30! Verwunderte Blicke werden auf mich gerichtet und hier und da höre ich ein "Die ist aber schnell unterwegs!". Das gibt mir Motivation und freut mich total! Auch in diesen Camp werde ich von einem Guide mit Wasser und Riegeln versorgt. Weiter geht es im alpinen Gelände über schmale Geröllpfade, bis ich die dritte Vegetationszone erreiche: die Wüstenlandschaft ruft Erinnerungen der Gobiwüste wach und viele Bilder von meinem damaligen Wettkamapf springen aus meinem Gedächtnis in die Realität. Nun wird es langsam etwas zäher und ich merke, dass die Luft dünner wird. Das Atmen wird anstrengender und ich zwinge mich, viel zu trinken und viele einfache Kohlenhydrate zu mir zu nehmen. Am Arrow Glacier Camp wartet Jeff, Koch und Guide der Agentur Trekili auf mich mit meiner warmen Daunenjacke, die ich auch sofort anziehe. Noch einen Oat King und die Gummibärchen einpacken, Getränk auffüllen, tief durchatmen: die letzten 1000hm liegen vor mir. Was auf mich wartet: schönste Felskletterei im einfach Schwierigkeitsgrat. Diese letzten 1000hm wären ein richtiger Genuss: aber auf über 5000hm ist alles nicht mehr so einfach. Jeder Schritt ist konzentriert und setze Hände und Füsse wohl überlegt auf den Felsen, um Kraft zu sparen. Nach jedem grösseren Schritt oder Zug muss ich Pause machen und kräftig atmen. Ich erhole mich aber immer recht schnell, was mir Hoffnung und Motivation macht. Mit den folgenden Höhenmetern merke ich, dass es in meinem Kopf anfängt zu "spinnen". Es sind keine Kopfschmerzen, dafür ein Gefühl, als hätte ich eine Flasche Gipfelschnaps getrunken. Ich konzentriere mich noch mehr und esse noch mehr Gummibärchen und trinke nach allen 50 Schritten etwas Carbodrink. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser letzte Teil alles von mir fordern würde. Ich denke daran, aufzuhören, möchte mich hinsetzen und pausieren. Doch eine innere Stimme treibt mich an und als ich auf die Uhr schaue, stelle ich fest, dass nur noch 400hm bis zum Gipfel fehlen. Ich komme mir vor wie eine Schnecke: langsam, aber stetig schiebe ich mich höher bis ich schließlich den Krater erreiche. Ich bin überglücklich. Die folgenden 400 Meter sind flach, dann geht es nochmals für ca. 150hm rauf über übelstes Geröll. Ich rutsche mit jedem Schritt immer wieder nach unten und muss mich extrem auf die Stöcke stützen. Durch diese enorme Anstrengung bin ich nach jedem Schritt extrem erschöpft. Von oben höre ich den Guide Matt rufen: "Wonderwomen, go! You do a great job!" Ich höre diese Worte zwar, aber wirklich aufnehmen kann ich sie nicht mehr. Ich frage mich, was ich hier gerade eigentlich mache. Ich denke nicht ans Umdrehen. Aber der Sinn fehlt mir gerade. Ich bin so ehrlich zu mir. Alles ist so klar und jegliche Gedanken sind verflogen. So muss sich ein alter Yogi fühlen, wenn er nach 20 Jahren Meditation wieder aufwacht. Ich denke an meinen verstorbenen Freund und Begleiter Basti, der so oft in großen Höhen auf 8000hm unterwegs war. Ich kann seine Erfahrungen und Erlebnisse nun besser verstehen, da ich gerade etwas ähnliches erlebe. Die letzten Meter bis zum Gipfel sind flach, doch mein Gang ähnelt einem Betrunkenen. Ich bin oben. Ich stoppe die Zeit: 8h32min. Ich bin schnell gewesen. Ich haben einen neuen Rekord aufgestellt. Einen Weltrekord. Doch das ist mir im Moment überhaupt nicht wichtig. Ich habe neue Erfahrungen gesammelt, die ich unbedingt erleben wollte. Nun will ich nur noch runter. So schnell es geht diese Höhe wieder verlassen. Es dauert seine Zeit bis ich mich wieder normal fühle: als ich auf 3000hm im Mweka-Camp ankomme, ist der "Hangover-Zustand" vergangen. Ich fühle meine alte Stärke und beginne nun richtig schnell zu rennen. Ein Hochgefühl rast durch meinen Körper und ich fliege nur so über die Wege. Ich tauche wieder ein in den Regenwald und laufe, als würde ich mich gerade auf dem Warm-Up-Teil befinden. Um 18 Uhr 18 erreiche ich das Gate und werde von meinen Freunden mit Bier und Sekt begrüsst. Ich bin fix und fertig, fühle mich aber großartig. Dass ich einen neuen Rekord aufgestellt habe, ist mir in dem Moment überhaupt nicht wichtig. Ich nehme nur eine große Dankbarkeit und Freude in mir wahr, die ich mit keinem teilen kann, außer mit mir selber.
Einen riesen Dank an Trekili für die Organisation und an all meine Sponsoren, Freunde und alle, die mitgefiebert und mir best vibrations geschickt haben!
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