„Der April, der April, der macht was er will“
Das Engadin ist immer wieder gut für Wetterüberraschungen und
wirft damit meinen Trainingsplan ordentlich durcheinander. In der letzten Woche
setze gegen Nachmittag immer heftiger Schneefall ein, der die Landschaft vom
frühlingshaften Grün in ein winterliches Weiss tauchte. Wenn ich also
vormittags keine Zeit zum trainieren hatte, durfte ich mich im weiteren Verlauf
des Tages auf stürmisches Treiben einstellen. Zudem kommt noch, dass mein
Körper immer noch etwas Zeit braucht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auch 4
Wochen nach meinem Sieg als erste Frau noch so intensiv an die 250km denken
würde. Aber der Körper speichert in jeder Zelle jegliches Ereignis ab; und manch
ein Erlebnis braucht halt mehr Zeit, bis es verarbeitet ist. Aber vielleicht
ist es auch wieder nur eine Frage der inneren Ausrichtung: Ich sage mir ab
heute mal, dass ich wieder fit bin. Mal schauen, wie es funktioniert!
In den ersten zwei Wochen nach dem Wettkampf habe ich mich
einfach mal treiben lassen und die Bewegung nicht unbedingt gesucht. Das wird
mir für die nächste „post-Race-Regenerationsphase“ ein Lehre sein. Als ich
wieder in mein normales Training (ca. 80-120km pro Woche) einsteigen wollte,
quälten mich Verspannungen an Hüfte, Knie und Ferse. Ich fühlte mich nach den
ersten 35 km wie am Anfang meiner Wüstenvorbereitung! Kaum zu glauben, aber
wahr. Das Erfreuliche war und ist aber, dass die allgemeine Leistung besser
geworden ist. Ich bin schneller geworden! Aber die Muskeln, Sehnen und Bänder „hinken“
etwas hinterher und hier muss ich höllisch aufpassen, dass ich mich nicht
überfordere. Jede Struktur braucht ihre eigene Zeit, um sich den Bedingungen
anzupassen. Lieber mit Motivation einen Ruhetag einlegen, als ohne Motivation zu
laufen. Denn die Ruhephase ist das A&O. Nur in dieser Phase kann der Körper
die Speicher wieder voll auffüllen. Warten war allerdings noch nie meine
Stärke; das ist wohl eine Erkenntnis, die ich in meiner Wüstenvorbereitung
lernen werde: Geduldig sein und auch mal durchzuatmen!
Mit dem Training für die Gobi Wüste im Juni (am 6.6. ist
Abflug) habe ich offiziell am 26.3. wieder begonnen. In den Tagen zuvor habe
ich ein paar Skitouren gemacht oder bin im Speed-Tempo die Skipisten
raufgesprintet. Und meine Speicher mit Kuchen aufgefüllt...
Mein Motto für die Vorbereitung ist: die Form halten und
schneller werden. Somit habe ich die vergangene Trainingswoche auch mit einem
Intervalltraining auf dem Sportplatz begonnen. Zu meiner grossen Freude hatten
sich Beat und Cyrille mit mir verabredet; die beiden sind auch extrem gute
Ausdauersportler und leben hier im Tal. Wir haben uns gut aufgewärmt und dann
drei Serien der Methode „High Intensity Training“ absolviert: 10 Wiederholungen
à 10 Sekunden Sprint mit vollem Tempo und 10 Sekunden Pause. Tönt easy, ist es
aber nicht. Danach 10 Minuten Trabpause und die gleiche Serie für zwei weitere
Wiederholungen. Im Anschluss bin ich noch 11km im lockeren Tempo um den Champferersee
gelaufen. Am Dienstag standen einige Trainings im Ausdauerbereich mit meinem
Kunden auf dem Programm, so dass ich davon profitieren konnte. Das Wetter war
am Mittwoch so verschneit, dass ich das Training ins Hallenbad verschieben
musste. „Kacheln zählen“ ist definitiv nicht meine Lieblingssportart. Und wenn
dann auch noch alle Schulkinder ihr Kunststücke auf dem Sprungturm zeigen
müssen und das Wasser dadurch sehr unruhig ist, vergeht mir die Lust. Ich habe
mich dennoch zu drei Kilometern Crawl überredet. Trotz der Massen des
Neuschnees wagte ich mich am Donnerstag zum Hahnensee. Ich hatte vorsorglich
die Wanderstöcke dabei, die ich auch dringend benötigte! Normalerweise brauche
ich für die Strecke (5km mit 400hm) ca. 35 Minuten. Da ich meinen Rucksack mit
sechs Wasserflachen à 1.5 Liter geladen hatte, war ich natürlich ziemlich
schwer und sackte ziemlich tief ein. Der Schnee war teilweise hüfthoch, so dass
ich völlig erschöpft nach 1h05min das Ziel erreichte. Ich hatte zum Glück gute
Profilschuhe von Salomon angezogen, mit denen ich guten Grip hatte! Der Rückweg
war dann das reinste Vergnügen: Wie ein Gemsli bin ich durch die hohen
Schneemassen gesprungen und teilweise auch auf allen Vieren gerutscht. Für den
Freitag hatte ich mir ein „Kombitraining“ überlegt. Zuerst 20km mit Rucksack
joggen (Val Roseg) und dann auf direktem Wege ins Hallenbad. Dort nochmals zwei
schnelle Kilometer und fertig war das Training. Der Rückweg mit dem Bus war
dann die grössere Herausforderung, da in der Zwischensaison die Busse nur
selten fahren und dann auch nicht jede Haltestelle ansteuern…
Das Highlight folgte am Samstag. Ein Shoppingtrip nach Chiavenna
(Italien, 45min von St. Moritz entfernt) endet damit, dass ich die Strecke ab
Promontogno bis nach St. Moritz zurück laufen wollte (ca. 38km mit 1000hm). Der
Weg startete über schöne grüne Wiesen, über Flüsse und fantastische Trails
immer weiter bergauf. Da Frau Holle auch im Bergell ihre Federn ausgeschüttet
hatte, stand ich alsbald wieder mit den Füssen im Schnee. Bis zum kurvenreichen
und sehr steilen Malojapass kam ich jedoch gut voran. Mein Weg führte mich dann
alternativ über einen Wanderweg durch den Wald steil bergauf bis nach Maloja.
Nach gut ¼ des Weges stand ich vor einem ziemlichen Problem: Tiefe Schneemassen
„versperrten“ das Weiterkommen. Nun stand ich vor der Frage: Umkehren und all
die gewonnenen Höhenmeter wieder runter oder weiter. Und natürlich ging es
weiter, immer weiter! Der Schnee an sich war dann das kleinere Problem. Denn die
Orientierung war jedoch gleich Null, da ich weit und breit keine Markierungen
erkennen konnte. Mein Orientierungssinn schickte mich dann querfeldein die
steilen Hänge hoch. Auf allen Vieren kroch ich mit meinen Sommerlaufschuhen ohne
Profil durch den Schnee, in der Hoffnung, irgendwo Wegzeichen zu finden. Nach
einer Weile war ich ziemlich weit oben angekommen; nur ging es anschliessend jeweils
links und rechts steil bergab. Laut fluchend hatte ich mich in eine Sackgasse
manövriert. Und als ich so fluchend auf dem Cliff stand und umherschaute,
erblickte ich just in dem Moment weiter unten eine grosse Markierung! Auf dem
Hosenboden bin ich dann wieder runtergerutscht, um wieder ohne Orientierung die
nächste Markierung zu suchen. Das Spiel ging eine ganze Weile so weiter und
kostete mich enorm viel Zeit und Kraft. Meine Füsse waren inzwischen Eisbeine
und auch das Wetter veränderte sich zunehmend. Mein Instinkt trieb mich aber
vorwärts in die richtige Richtung und irgendwann kam ich zu einem Schild,
welches die Gletschermühlen signalisierte. Gletschermühlen? Das bedeutete auf
der einen Seite, dass das Dorf Maloja in unmittelbarer Nähe sein musste; aber
auch, dass auf dem Gelände grosse Löcher waren, die sogenannten Gletschertöpfe.
Ich hatte auf einmal grosse Sorge in einen der Töpfe zu stürzen und hangelte
mich vorsichtig von Strauch zu Strauch bis ich auf einem völlig aufgeweichten
Schlammfeld ankam. Eine kleine Moorpackung um die Beine konnte jetzt auch nicht
mehr schaden. Nach weiteren 10Metern hatte ich dann glücklicherweise die
Strasse wieder erreicht. Ich war ziemlich durchgefroren und war wenig
motiviert, noch weitere 15km bis nach St. Moritz durch Tiefschnee zu rennen. Zu
meiner grossen Erleichterung hatte ich mit meiner Ankunft an der Bushaltestelle
eine günstige Zeit erwischt. Der Bus, der nur einmal in der Stunde fährt, kam
in kürzester Zeit und brachte mich sicher zurück. Auch wenn es nur 20km waren,
hatte sich das Abenteuer gelohnt!
Sonntag war dann der Ofen ganz aus und zwang mich zur Pause.
Über Nacht hatte es 50 cm Neuschnee gegeben! Und da Zwischensaison ist, kamen
die Räumfahrzeuge erst gegen Mittag in meinem Quartier vorbei. Somit tauschte
ich den 40km Lauf mit einem „Schneeräumworkout“ und „Putzworkout“. Alles ist für
irgendetwas gut und die Pause heute tat meinen Beinen sicher auch mal gut…
Hier noch meine Musiktipp. The naked and famous "All of this"
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