Mittwoch, 16. September 2015

Transalpine Run: Eine ehrliche Geschichte einer ehrlichen Krise

Plötzlich sind es nur noch zwei Wochen bis zum Start vom Transalpine Run – ein Wettkampf über acht Etappen einmal über die Alpen mit satten 16000 Höhenmetern im Aufstieg und 280km Wegstrecke. Eben war ich noch zuversichtlich und rauschte auf einer Welle der Glücksgefühle daher, die mir das Abenteuer auf den Kilimanjaro beschert hat. Ganze zwei Wochen konnte ich einen Rausch erfahren und war einfach nur stolz auf meine Leistung. Und jetzt das komplette Gegenteil. Ich habe keine Zeit, diese Phase bewusst wahrzunehmen und ihr Raum und Platz zu geben, da der nächste Wettkampf ansteht. Beim Transalpine Run startet man in 2er-Teams und kann sich Freund und Leid teilen. Mit Tim Wortmann habe ich einen starken Laufpartner ausgewählt, der auch für das UVU-Team läuft. Zusammen haben wir schon einige Wettkämpfe erlebt und Trainings rund um und auf die Zugspitze mit Überquerung des Jubi-Grats unternommen. Die zwei Wochen, die mir noch bleiben, fülle ich mit kurzen intensiven Trainings, in der Hoffnung, auf Touren zu kommen. Durch meine Erfahrung, die ich bei den Etappenwettkämpfen (4 Deserts und Manaslu Trail Race) sammeln konnte, fühle ich mich sicher, dass ich an acht Tagen meine Leistung abrufen kann. Doch was kann ich gegen diese Müdigkeit und Schwere im Kopf machen? Auch da rede ich mir ein, dass ich diese Krise mental verarbeiten kann, sobald ich mal die Startlinie überquert habe. Es sollte aber alles anders kommen.
In Oberstdorf ist der Startort und dort treffe ich neben Tim auch noch Maggy Martini und Rainer Jahn, die das zweite Team für UVU-Racing in der Master-Mixed- Kategorie stellen. Die Stimmung ist ausgelassen und ein Scherz nach dem anderen macht die Runde. Zudem treffen wir auch noch den Big Boss der UVU-Family, Gerhard Flatz, der uns nochmals kräftig einheizt und uns an das Motto von UVU erinnert: Immer nur du gegen dich- You versus You! Ok, alles klar. Dann kann es ja losgehen. Doch ich merke, dass mir meine Gedanken einen Strich durch die Rechnung machen und sich einfach keine Freude einstellen will. Die Nervosität ist anders als sonst und ich mache mir ernsthafte Sorgen, ob das alles überhaupt Sinn macht.
Nach einer schlaflosen Nacht und einer ungewohnten Nervosität (ok, nervös bin ich immer, aber dieses Mal war es eine passive Nervosität) sehe ich mich am Start stehen umringt von hunderten Läuferinnen und Läufern, die alle diesen Wahnsinns-Blick im Gesicht haben, da sie wissen, dass das, was in den nächsten acht Tagen passieren wird, einfach der Wahnsinn ist! Nur bei mir legen sich die Sorgenfalten auf die Stirn. Ich rede mir positiv zu und motiviere mich. Als der Startschuss endlich erfolgt, fühle ich mich wie im Alptraum. Meine Beine rennen zwar, doch es kommt keine Energie durch den Körper. Schon auf den ersten zwei Kilometern fange ich an zu keuchen, zu schnaufen, Tränen laufen mir über das Gesicht. Ich will aufhören, will aussteigen, habe plötzlich überhaupt kein Selbstvertrauen und Reserven mehr. Ich spreche mit Tim und teile ihm mit, wie es mir geht. Er reagiert gelassen und souverän wie ein alter Psychologe mit Schwerpunkt Hysterie. Das Motto ist „Was geht, das geht, und wenn es nicht geht, dann geht es nicht!“ So einfach fast Psychologe in spe Sigmund Tim Freud die Situation zusammen. Ich schleife mich den ersten Anstieg hoch, werde von allen überholt, habe das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen und spüre null Energie in meinem Körper. Wie soll ich das acht Tage durchstehen? Die Landschaften fliegen an mir vorbei, ich nehme alles wie durch eine Wolkendecke wahr. Denke nur daran, wie es sich anfühlt, wenn ich im Ziel bin. Ist es das, was mich antreibt, weiterzumachen?
Mit der Hoffnung, dass die nächsten Tage besser werden, starte ich in die zweite Etappe. Mühsam und schwer wie blei reiht sich ein Schritt an den nächsten. Erst als es etwas technischer wird, wache ich auf und nehme mich wahr. Beim Downhill kommen alte Stärken zurück, ich werde zuversichtlicher. Ist es das, was mich antreibt, weiterzumachen?
Die kommenden Tage werden leider nicht besser, eher schlechter. Ich knicke mehrfach um, doch die Bänder halten es aus. Ich fluche vor mich hin, bekomme die Energie nicht in die Beine, sie steckt fest zwischen Herz und Hirn. Wenn der Kopf leer ist, gibt es keine Ausreden mehr. Dann gibt es keinen Reserveschirm, den man öffnen kann. Keine Kompensationsmechanismen. Ich gehe in Gedanken die letzten Wochen durch:  die Bilder des Speed Run auf den Kilimanjaro, dieses unglaubliche Abenteuer, welches mir soviel neue Kraft und Energie gegeben hat, rauschen an mir vorbei. Die zwei Wochen danach, wo ich auf einer Welle des puren Glücks gesurft bin. Dass sich mein Körper holen würde, was er braucht, war mir klar. Nur dass es gerade zum Zeitpunkt des TAR kommen müsste, war äußerst ungünstig. Wenn die Balance zwischen Anspannung und Erholung nicht mehr stimmt, wenn ein System überfordert ist, kann man keine Höchstleistung erbringen. An der Grenze des Machbaren lote ich also aus, wozu mein Körper noch in der Lage ist. Die Beine laufen, der Kopf ist leer, stehenbleiben kann ich nicht, da ich nun einmal losgelaufen bin. Wir werden in der Mixed Kategorie den 5. Platz belegen. Einmal mehr wird mir klar, wie unwichtig die Platzierung ist. Viel wichtiger ist, dass Körper und Geist eine Einheit bilden. Nur dann kann ich meine Leistung gepaart mit Spass und Freude abrufen.
Mein Fazit aus den acht Tagen Alpenüberquerung: „Nur eine entspannte Athletin ist eine gute Athletin.“ 

Mein großer Dank geht an meinen super Teamkollegen Tim Wortmann und an die beiden UVU Panther Maggy und Rainer- ein besseres Team konnte ich mir nicht vorstellen. Ich danke unserem Sponsor Viking für die Möglichkeit, beim TAR zu starten und UVU für die unsagbar unschlagbare Bekleidung. Oat King hat mich mit wertvollen Proteinen versorgt. Mit den Julbo Brillen konnte ich meine Augen gut schützen und blasenfreies Laufen Dank Compressport-Socken! MEGA!

Mein Musiktipp: