Mittwoch, 7. Dezember 2016

Der höchste Vulkan Nordamerikas!


Speedy Gonzales wäre stolz auf uns, denn wir haben den höchsten Vulkan Mexikos (und Nordamerika) in sechs Tagen bezwungen. Ein ziemlicher Kraftakt, wenn man bedenkt, dass wir vom tiefsten Punkt des Landes an der Golfküste in Veracruz gestartet sind und die gesamte Strecke mit dem Bike und in Wanderschuhen zurückgelegt haben. Dass wir es überhaupt geschafft haben, hatte auch sehr viel mit Glück und vielleicht auch richtigem Timing zu tun. Auf alle Fälle waren die 260 Kilometer mit 6500 Höhenmetern alles andere als einfach! 
Am frühen Samstagmorgen waren wir dann endlich alle am Mexiko City Flughafen zusammen. Beppe und Alessio haben jeglichen Schwierigkeiten getrotzt (streikende Züge in Italien, Überschwemmungen, brennendes Auto, streikende Piloten der Lufthansa) und auch ich habe mich mit meinem übergroßen Gepäck durchgekämpft. Hätten es sich die Piloten der Lufthansa anders überlegt und anstatt Samstag am Freitag auf der Langstrecke gestreikt, so wäre unser Projekt schon am Anfang gescheitert. Glück gehabt, Speedy! 
Sack und Pack verstauten wir im Miet-Bus und kämpften uns im Anschluss durch den 6-spurigen-Cityverkehr Mexikos! Ohne Kratzer und Schrammen schafften wir es auf den Highway Richtung Osten und machten nach 3 Stunden unseren Stop im Bergsteigerdorf Tlachichuca auf 2600m. Dort bauten wir in aller Ruhe unsere Bikes zusammen und sortieren die Kleidung und das Equipment für die kommenden geplanten 2 Tage auf dem Bike. Den Rest deponierten wir in der sehr freundlichen und ruhigen Lodge bei Marille und Joachin. Nach weiteren 3 Stunden Fahrt erreichten wir das Hotel in Veracruz an der Küste auf Meereshöhe. Hier räumten wir den Bus leer, um ihn anschliessend zum Flughafen zu bringen. Auf der Fahrt dorthin stoppten wir an einer Tankstelle und der Tankwart fragte nach dem Sprit: Benzin oder Diesel? Oder groß nachzudenken, meinten wir alle, dass es Diesel sei. Dummerweise vergewisserten wir uns aber nicht mehr und der Tankwart ließ den Diesel in den Tank fließen. Beim Losfahren kam dann das dunkle Erwachen: der Bus fuhr gerade mal noch einen Meter, bevor Stillstand herrschte! Wir hatten den falschen Sprit getankt! Oh, nein, Speedy! Und ausgerechnet an dieser einen Zapfsäule war der Dieselzapfhahn ohne spezielle Vorrichtung, so dass er auch in einem Benzintank passte! Viele Anrufe und Telefonate später kam ein Abschleppauto und übernahm den Schaden, den wir angerichtet hatten. Um 1 Uhr in der Früh waren wir ohne ein gescheites Abendessen im Hotel und fielen todmüde in die Federn. Ich sage,Glück gehabt, Speedy! Wer weiß, was sonst vielleicht auf der Straße passiert wäre. 
Am Sonntag in aller Früh ging es an den Strand von Veracruz: das ist immer ein magischer Moment, wenn wir tatsächlich am tiefsten Punkt des Landes sind; noch voller Kraft und Energie und es kaum erwarten können, dass das Bike endlich rollt! Und es rollte dann auch direkt über den Highway, oder auch Autobahn genannt. In Deutschland und der Schweiz hätten wir es innerhalb 5 Minuten in den Verkehrsfunk aller Radiostationen geschafft: Achtung, Fahrradfahrer auf der Autobahn! Aber in Ländern wie Mexiko, Tansania oder Iran ist das alles gar kein Problem und wesentlich ungefährlicher, als auf Landstraßen, da es dort zumindest einen Standstreifen gibt, auf dem wir ganz gemütlich fahren konnten! Trotzdem galt es ständig aufzupassen, da die Mexikaner andere Straßenregeln befolgen! Gegen Mittag erreichten wir eine kleine Bar, an der wir Halt machten und uns literweise Wasser in unsere ausgetrockneten Körper schütteten. Ich kam mir vor wie in der Wüste, so heiß war es. Der nette Besitzer mit italienischen Wurzeln servierte uns dann noch einen exzellenten Kaffee, der zu neuen Kräften verhalf und den Puls in unerwartete Sphären trieb! Arrriiiivvvaaa, venga, venga! Am späteren Nachmittag kamen wir an unserem Etappenort Cordoba an. Doch kurz vorher mussten wir noch ein Loch in Alessios Schlauch flicken. 
Der Abend verlief kurzweilig mit einem feinen Dinner und eiskalten Bier. 
Am Montag ging es weiter: es standen 100km mit 2500hm an, und es sollte ein ziemlicher Kraftakt werden! Nach 30km erfrischten wir uns in einem kleinen Dorf und wollten anschließend die Fahrt fortsetzen. Leider war Alessios Schlauch abermals ohne Luft, so dass wir diesen flicken mussten (Nr.1). Nach ca. 10km mussten wir erneut stoppen (Nr. 2) und nach ca. 500m abermals (Nr. 3) und nach weiteren 800m (Nr. 4) hätten wir am liebsten alle laut geschrien! Der 1000hm - Anstieg wurde nicht weniger und unsere Nerven lagen blank. Auf mein Drängen sprach Beppe dann einen Local an und dieser schickte uns zu einer kleinen Hütte, in der wir nach zwei Kindern fragen sollten. Kinder? Ok, wir machten die Hütte ausfindig und auch die Kinder waren anwesend! Das Bike wurde zum 5. Mal demontiert und ich war am Ende meiner Kräfte und sah keinen weiteren Sinn in dieser Aktion. Doch manchmal muss man einfach auch blind vertrauen, speziell wenn man keine andere Möglichkeit hat! Nach einer Stunde war der Schlauch perfekt geflickt, repariert und tadellos in Ordnung, so dass wir unsere Fahrt fortsetzen konnten, ohne ein weiteres Mal anhalten zu müssen. Diese ganze Aktion kostete uns allerdings so viel Zeit und Nerven, dass die Stimmung zwischendurch mal kippte. Beim lang ersehnten Downhill machten wir einiges an Zeit wieder gut und rasten mit über 50km/h die Berge runter. Gegen 17:30 Uhr erreichten wir die Hauptstrasse und vor uns lagen noch 30km bis Tlachichuca! Wir rollten in einem recht flüssigen Tempo über die Landstrasse, doch schon bald war es stockfinster und sehr gefährlich, da die Lastwagen und Trucks weiterhin in einem Affentempo an uns vorbeirauschten. Das Adrenalin hielt uns wach und wir waren hochkonzentriert. Jetzt ja keinen Fehler machen, immer schön auf der Spur bleiben; hoffentlich kommt kein Schlagloch... Als wir die Lichter einer recht großen Stadt sahen, beschlossen wir, dass es vernünftiger war, dort zu übernachten und das Schicksal an diesem Tag nicht noch weiter herauszufordern! Mit google suchten wir ein Hotel und anschließend den Weg. Die Digitalisierung macht es möglich! Ein wenig später schon hockten wir vor einem prasselnden Kaminfeuer und aßen weltbeste Schnitzel, Steaks und spülten alles mit einem kühlen Bier hinunter. Was für ein Tag! Was für ein Glück, Speedy! 
Am Morgen des Dienstags rollten wir ganz gemütlich nach Tlachichuca und packten dort alles für den Berg zusammen. Es tat gut, ein wenig Zeit zu haben und den Abend und Nacht in Tlachi auf 2600m zu verbringen. Maribelle aus der Lodge verwöhnte uns mit einem guten Essen und die Nacht war auch recht angenehm, bis uns um 5:00 Uhr in der Früh ein Feuerwerk aus den Träumen riss! Die Mexikaner feierten genau in der Woche ein christlich-katholisches Fest und ballerten den ganzen lieben langen Tag Feuerwerk ab, als wäre jede Minute Sylvester! Man muss sich das so vorstellen: immer wieder ertönt der Knall einer China-Böllers oder einer Rakete und jedes Mal erschrickt man sich so sehr, dass man einen Sprung zur Seite macht. Für Herzpatienten nicht sehr förderlich! 
Somit waren wir zumindest hellwach und konnten am Mittwoch mit den Bikes bis auf 3500m rauffahren, um dann in die Wanderschuhe zu steigen und den restlichen Weg bis zur Pedra Grande Hütte zu Fuß zurück zu legen. Beim Aufstieg probierten wir, möglichst langsam zu laufen und die Atmung an dieses Tempo anzupassen. Ich weiß nicht, ob es dieses langsame Laufen war oder die Anstrengung der vergangenen Tage; Punkt Ankunft auf 4200m auf der Hütte, zerlegte es mich für die folgenden 24 Stunden. Leichte Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Lethargie und Herzrasen machten sich bemerkbar und jede Bewegung zur qualvollen Anstrengung. Was war mit mir los? Ich konnte nun am eigenen Leib erfahren, dass man nie vorhersehen kann, wie die Akklimatisierung abläuft. Mal ist alles gut, mal zerlegt es einen. Bravo. Das konnte ich gerade genau gebrauchen. Leichte Panik stieg in mir auf, da die Zeit einerseits für mich tickte (je länger ich auf der Höhe blieb, desto besser verlief die Anpassung) und einerseits gegen mich (was, wenn die Akklimatisierung doch nicht stattfand?!). Ich hatte mich doch das ganze Jahr so sehr auf dieses Projekt gefreut und nun sollte mir mein "Hochleistungskörper" einen Strich durch die Rechnung machen? Alles war so lange geplant und ausgetüftelt. In unzähligen Skype-Telefonaten und E-Mails entwickelten wir Drei das Projekt und ich freute mich so sehr, diese neue Herausforderung, einen Vulkan auf 5600m mit Ski abzufahren, anzunehmen. Doch ich wollte auch nichts riskieren; jegliche Unvorsicht in großen Höhen kann übel enden. Besonders bei einer geplanten Skiabfahrt. 
Zum Glück hatten wir den Donnerstag noch zur Anpassung eingeplant, so dass ich mich zu stressen brauchte. Aber sag das mal einem, der nicht bei vollen Kräften ist! Nach 24 Stunden ging es mir dann aber doch besser und ich war froh, dass Beppe und Alessio keine Probleme hatten, und mich stattdessen gut versorgen konnten (Tee kochen, Essen kochen, usw.). Auf der Hütte war noch ein britisches Ehepaar und wie sich herausstellte, war der 73 jährige Peter Holden eine Legende im Klettern! Er hatte in den frühen 1980er Jahre alle sechs großen Nordwände der Alpen in einem Winter erklettert! Wir fanden in ihm einen sehr unterhaltsamen Gesprächspartner mit einem großen Repertoire an tollen Geschichten und Storys! So verging die Zeit am Donnerstag und mein Körper erholte sich Minute um Minute! Die Nächte waren allerdings immer der Horror. Da ich bestimmt 5 Liter Wasser trank, musste ich alle Stunde raus aus dem Schlafsack und die Freiluft-Toilette aufsuchen. Immerhin ging es nicht nur mir so. Zudem war der Sternenhimmel gigantisch! 
Am frühen Freitagmorgen schulterten wir gegen 3 Uhr in der Früh unseren schwer beladenen Rucksack samt Ski, Steigeisen, Pickel, Gurt und Seil. Wir hatten nur noch diesen einzigen Tag und gingen es an. Mit meiner Flutlicht-Stirnlampe leuchtete ich uns den Weg durch das "Labyrinth"und wir schafften es mit ein paar Umwegen, fast pünktlich zum Sonnenaufgang (ca. 6:30 Uhr) am Gletscher anzukommen. Es war schon sehr anstrengend und als wir das lange Eisfeld vor uns sahen, stockte uns kurz der Atem! Wir blieben weiterhin auf Steigeisen und die Ski waren weiterhin am Rucksack montiert. Schritt um Schritt ging es nun stetig bergauf für die kommenden 700hm. Die Steigung war teilweise um die 40%, womit jeder Schritt absolut sicher sitzen musste. Es war die reinste Tortour. Meine Kräfte waren ziemlich am Ende und ich schaltete den mentalen Turbomotor an. Für eine gewisse Zeit konnte ich mich mental sehr gut ablenken, doch ich merkte, dass auch diese Kraft an ihre Grenzen kam. Ich stellte dieses Mal aber fest, dass es da noch mehr gibt, als die bewusste, willentliche mentale Kraft. Da ist ein Urvertrauen, dass ich es schaffen werden und will, welches mich antreibt, nicht aufzugeben, auch wenn ich bewusst merke, dass die physische Kraft immer weniger wird. Vielleicht kann ich es mit den Worten beschreiben: "Jetzt habe ich es soweit geschafft, nun bringe ich es auch zu Ende!" Ich musste doch einfach nur Laufen; einen Schritt vor den anderen setzen; einfach nur Laufen und keine großen Denkaufgaben lösen. Und das funktionierte tatsächlich. Mein körperlicher Motor lief zudem seit einiger Zeit auf "Gummibärchen-Modus", was bedeutete, dass ich ca. alle 15 Minuten eine Handvoll Zucker zu mir nahm. Beppe war sehr gut drauf und spurte den gesamten Gletscher für uns rauf. Alessios Taktik bestand darin, immer ein Stück schnell zu gehen, um dann kurz zu pausieren. Und meine Taktik? Ich versuchte alles und wechselte immer wieder den Rhythmus. 30 Meter vor dem Gipfel wollte ich dann plötzlich nicht mehr laufen. Doch Alessio munterte mich mit dem Satz "This is the best time of your life" auf und ich mobilisiere nochmals Kräfte, um dann um 10:00 Uhr endlich auf dem höchsten Vulkan Nordamerikas zu stehen!Wir fielen uns in die Arme und Tränen der Erschöpfung flossen! Was für ein Kraftakt! Nach kurzer Verschnaufpause auf dem Gipfel schnallten wir die Ski unter unsere Füße und machten uns für die Abfahrt parat. Keiner von uns ist vorher auf einer solchen Höhe Ski gefahren und wir waren alle ziemlich aufgeregt. Das Herz klopfte uns bis zum Hals und die ersten paar Meter waren alles andere als angenehm, da es ziemlich eisig war. Die folgenden Schwünge wurden allerdings immer besser, da der Schnee durch die Sonne leicht angetaut war. Mit mehr Selbstvertrauen wurden unsere Bewegungen rhythmischer und die ersten Juchzer kamen aus unseren Kehlen! Unser Traum wurde Wirklichkeit und wir fuhren den Vulkan tatsächlich mit den Ski ab! Völlig fix und fertig erreichten wir dann das Ende des Gletschers und verstauten die Ski wieder auf unseren Rucksäcken. Der lange Weg durch das Labyrinth wurde noch länger, da wir alle mit unseren Kräften am Ende waren und uns zudem ein paar Mal verliefen. Unser mexikanische Freund Mario erwartete uns inmitten des Labyrinths uns zeigte uns den Weg hinaus. Großer Jubel und Stolz wurde uns auf der Hütte von unseren neuen Freunden entgegengebracht, was uns alle sehr glücklich machte. 
Der Jeep unserer Lodge stand schon bereit und wurden packten unser Equipment ein. Beppe und Alessio fuhren mit den Bikes downhill und ich beschloss, mein Schicksal nicht weiter herauszufordern und fuhr mit Joachin im Jeep nach Tlachichuca. Jedoch wollte der Jeep nicht mehr fahren, da eine Feder abgesprungen war! Ich wartete also eine gute Stunde auf der Hütte und vertrieb mir die Zeit mit guten Gesprächen mit Peter, Angela und Mario. Trank Tee und bekam ein Stück englischen Weihnachtskuchen! Die Mexikaner schafften es tatsächlich, den Jeep wieder fahrbar zu machen und so rollten wir den Berg hinunter. Allerdings nur so weit, bis es wieder für ein Stück bergauf ging und der Motor streikte. Ungefähr 10x wurde die Motorhaube geöffnet, etwas geschraubt und gedreht, zurückgefahren, Anlauf genommen, um es dann irgendwann im Schneckentempo und mit angehaltener Luft über den Hügel zu schaffen. Anstatt zu verzweifeln, hatte ich die tiefe Überzeugung, dass ich auch dieses letzte Abenteuer schaffen würde und irgendwann in Tlachichuca ankommen würde. Meine ausgetrocknete Kehle und mein knurrender Magen blendete ich einfach aus und freute mich nur über den Gipfel. Glück gehabt, Speedy! Nach 3 Stunden Fahrt (normalerweise 1 Stunde!) kam ich endlich in der Lodge an, wo Beppe und Alessio schon mit einem Bier auf mich warteten. Mit einer heißen Dusche und einem feinen Dinner von Maribelle fühlte ich mich wie neugeboren! 
Der Samstag bestand dann darin, alles für den Rückflug einzupacken und zum Flughafen nach Mexiko City zu fahren. Um 20:00 Uhr saßen wir auf unseren Plätzen in der Lufthansamaschine. Kurz vor Start ertönte es allerdings aus den Lautsprechern und der Pilot teile uns mit, dass es merkwürdige Geräusche im Frachtraum geben würde!? Wir rollten somit nicht zur Startbahn, sondern zurück zum Parkplatz! Nach einer guten Stunde gab es dann Entwarnung und wir konnte mit reichlich Verspätung in Richtung Osten abheben. Beppe und Alessio erwischten sogar noch ihre Anschlussflüge und sogar das Gepäck schaffte es bis nach Mailand. Ich überlebte die sechs Stunden Autofahrt von Frankfurt bis nach St. Moritz und gegen Mitternacht waren wir alle wieder in der Heimat. Glück gehabt, Speedy! 
Total: 260km, 6 Tage, 6500hm. 
Tausend Dank an Katadyn Trek`N Eat, Oat King, UVU Racing, Julbo, Petra, Bertold, Mario, Beppe, Alessio, the families and friends und an alle, die uns live verfolgt haben! 
Der Film zum Abenteuer kommt auch bald! Hier schon mal ein paar Fotos: