Dienstag, 1. November 2016

Tapering, Weltmeisterschaft und Danach!

Wie stellt sich eigentlich ein „Nicht-Sportler“ oder ein „Nicht-Wettkampfathlet“ das Leben einer Athletin vor? Zuerst einmal kommt eine ganze Weile ein Training mit verschiedenen Einheiten. Darauf will ich hier aber gar nicht näher eingehen. Denn das sollte ja auch eigentlich klar sein. Ohne Fleiss keinen Preis! Doch ca. 2 Wochen vor einem Wettkampf ändert sich das Trainingsverhalten der Athletin schlagartig. Es wird nur noch halb so viel trainiert, die Einheiten sind wesentlich kürzer und die Regeneration steht im absoluten Vordergrund. Was jetzt noch nicht gemacht wurde oder geheilt ist, hat keine Chance mehr auf Verbesserung. Denn zwei Wochen vor dem Wettkampf sollte das Training abgeschlossen sein. Nun befindet sich die Athletin in der „Tapering-Phase“. Dies bedeutet, dass der Trainingsumfang um ca. 50% reduziert wird und der Körper viel Zeit zur Erholung bekommt, um dann am Tag X des Wettkampf perfekt ausgeruht und trainiert zu sein. Wer jetzt glaubt, dass diese Phase doch super sein muss, der täuscht sich gewaltig. Es fällt der Athletin nämlich gar nicht leicht, von 110% auf 50% herunterzufahren und plötzlich anstatt 4 Stunden Training nur noch 1 Stunde zu schwitzen. Unruhe macht sich bemerkbar und Gedanken kreisen im Kopf wie „Habe ich genug trainiert? Reicht es? Hätte ich nicht noch mehr machen sollen? Oder war es gar zu viel Training?“ Diese Phase ist zudem gekoppelt mit letzten Vorbereitungen, die den Wettkampf betreffen. Das erforderliche Equipment wird rausgesucht, das Ernährungskonzept erstellt, das Strecken,- und Höhenprofil ausgedruckt und mit markanten Punkten versehen. Jetzt bleibt noch Zeit, um notwendige Vorkehrungen zu treffen. Tapering ist sehr wichtig, denn nur eine entspannte Sportlerin ist eine gute Sportlerin! In der Ruhe liegt die Kraft und nur wer in dieser Phase zu viel macht, kann eigentlich nur schlechter werden!
Und dann geht es zum Wettkampf.
Und hier berichte ich und beschreibe das letzte Race bei der Weltmeisterschaft im Ultratrailrunning in Portgual am vergangenen Samstag. Der Start ist um 5 Uhr, was bedeutet, dass das Frühstück um 3 Uhr stattfindet. Zum Glück teile ich mir mit Simone das Zimmer, sonst wäre ich glatt eine Stunde zu spät aufgestanden. Ich hatte meinen Wecker auf 3:30 gestellt, anstatt auf 2:30! Huijujuiuhu! Das wäre lustig geworden!
Das Aufstehen gelingt trotzdem sehr gut, obwohl die Nacht alles andere als ruhig war. Zum Frühstück gibt es leckere Hefeteig-Schnecken mit Honig und Kaffee. Ich sitze mit dem deutschen Team an einem Tisch und die Aufregung steigt mit jedem Schluck Koffein. Mit dem stark verspäteten Bus fahren wir ca. 45km bis zur Startlinie und haben gerade noch 15 Minuten Zeit, bis es losgeht. Und dann gehen die Stirnlampen an und die über 280 Athletinnen und Athleten rennen los. Für die kommenden 2h45min ist es stockfinster und nur die Kopflampen weisen uns den Weg. Ich komme ganz gut rein ins Rennen und merke, wie die Maschine recht schnell startet. Ich lasse mich aber nicht sonderlich hetzen und rausche im mittleren Tempo im hinteren Mittelfeld mit. Für manche Läufer ist das technische Gelände reinstes Neuland und immer wieder muss ich in den Bergabpassagen abbremsen, da die Kolonne ins Stocken gerät. Als wir dann einen ziemlich tiefen Fluss überqueren müssen, welcher nur über wenige, spitze und aalglatte Steine zu passieren ist, hätte ich fast einen Abflug gemacht. Ich bin dicht hinter einer Läuferin, die grosse Schwierigkeiten hat und auf einem Stein mitten im Fluss stehenbleibt und nicht vor und nicht zurück kann. Dummerweise stehe ich mit ihr auf diesem Stein und bleibe erst mal still, um sie nicht nervös zu machen. Nach einer gefühlten Ewigkeit reicht es mir langsam und ich ermutige sie, doch einfach zu gehen. Dabei gerät sie ins Straucheln und greift nach meinem Arm! Himmel! Ich halte sie gerade noch so fest , bis sie das Gleichgewicht wieder gefunden hat, um es im nächsten Moment direkt wieder zu verlieren. Blitzschnell reisse ich mich von ihr los und gebe ihr einen kleinen Schwung nach vorne, so dass sie zum nächsten Stein und somit in „Sicherheit“ springen muss. Das hätte auch echt übel ausgehen können. Weiter geht’s! Als die Sonne später aufgeht gibt das einfach nochmal zusätzliche Energie. Ich laufe und freue mich, dass ich mitmachen darf! Nach 30km treffe ich am 2. Verpflegungsposten ein und kurz nach mir kommen auch Ildiko und Claudia an. Beide sehen recht frisch aus und ich muntere uns auf: Lets rock it, girls!  Währenddessen werde ich von unserem super Betreuerteam mit allem Notwendigen versorgt und Dodo haut uns allen nochmal eine extra Portion Iso rein! Es geht weiter, aber irgendwas ist anders. Der erste lange Anstieg erweist sich als mühsam. Langsam macht sich auch die Hitze bemerkbar. Ich finde keinen Rhythmus und bin furchtbar langsam. Die Sonne brennt, es ist heiss und der nächste Verpflegungsposten ist noch gute 10km und 800hm entfernt. Ich glaube, ich verdurste und erste Krämpfe in den Beinen machen sich bemerkbar. Gitti zieht zu mir auf und wir laufen eine Weile zusammen, bis wir endlich den Verpflegungsposten erreichen. Ich schütte mir das Wasser und Iso ohne Ende rein und merke gar nicht, dass es meinen Durst stillt. Ich fühle mich sehr erschöpft. Aber, das Iso und der Zucker wirken und neue Kräfte lassen sich mobilisieren. Ein langer Abstieg über eine Forststrasse folgt, aber mit vollem Wasserbauch lässt die sich nicht sonderlich schnell laufen. Und dann machen sich die Krämpfe im Magen oder Darm oder Zwerchfell oder sonst wo bemerkbar und ich muss das Tempo verlangsamen und Gitti ziehen lassen. Ich hoffe, dass die Krämpfe sich mit der Zeit bessern, aber leider ist das Gegenteil der Fall. Ich kämpfe und leide und habe viel Zeit über meine Misere nachzudenken, was nicht gerade dazu beiträgt, dass es mir besser geht. Ich schleppe mich von einem Kilometer zum nächsten und trinke bei jedem Verpflegungsposten grosse Mengen Wasser, Iso und Cola, doch nichts hilft. Es ist zum Heulen. Klar, ich kann aufgeben, aber bei einer Weltmeisterschaft gibt man nicht so einfach auf, oder? Beim letzten langen Anstieg treffe ich die Läuferin wieder, mit der ich fast baden gegangen wäre. In dem weglosen Gelände kann jeder dort laufen, wo es gut geht, aber sie meint nur zu mir, ob ich ihr mal aus dem Weg gehen könnte, sie möchte vorbei!? Hä? Ich antworte nur, dass es hier ja gar keinen Weg gibt und man ja überall laufen kann. Für so was habe ich nun wirklich keinen Nerv mehr. Erheiternder ist das Wiedersehen mit einer Britin, die ganz am Anfang übelst auf ihre Knie gestürzt ist und seitdem Verbände wie Knieschoner trägt. Wir muntern uns gegenseitig auf, indem wir uns auf ein Bier im Ziel verabreden. Ich würde in diesem Moment alles dafür geben, dass meine Krämpfe aufhören und ich wieder locker laufen kann, doch meine Wünsche werden nicht erhört. Beim letzten Verpflegungsposten will ich einfach aufgeben, doch Maja und Dodo reden mir gut zu, massieren meinen Bauch und schicken mich auf die letzten 15km bis zum Ziel. Hügel über Hügel laufe ich immer weiter und irgendwann bin ich da. Ich biege ein auf die lange Zielgerade. Die Zuschauer applaudieren, doch selbst darüber kann ich mich nicht mehr freuen. Nach über 12 Stunden erreiche ich das Ziel und habe alle meine persönlichen Ziele verfehlt.
Nun beginnt die Post-Race- Phase und die ist mitunter noch anstrengender, als das Rennen. In der Zielverpflegung langen mir gerade einmal ein paar Kartoffelchips und etwas Cola. Mehr schaffe ich nicht, obwohl ich weiss, dass diese Phase zur besseren Regeneration ganz essentiell ist. Wenn der Körper von aussen schnell protein,- und kohlenhydratreiche Kost bekommt, dauert die Wiederherstellungsphase nicht so lange und man ist schneller wieder frisch. Ich gehe derweil erstmal duschen und danach fühle ich mich schon ein bisschen normaler. Obwohl ich aufpassen muss, dass ich keine „Post-Race-Krämpfe“ bekomme. Das ist etwas ganz fieses und kommt meiner Meinung nach durch einen defizitären Wasser,- und Elektrolythaushalt. Schon bei den kleinsten Bewegungen krampft die Muskulatur und das tut sehr weh. Im Anschluss gönne ich meinen Beinen noch eine Massage und die Masseure kneten und trommeln, was das Zeug hält. Irgenwann bin ich zurück im Hotel und treffe alle anderen zum Abendessen, was nach so einer Anstrengung nicht üppig ausfällt. Der Körper muss ist viel zu erschöpft, als dass er grosse Mengen an Nahrung aufnehmen könnte. Als ich mich endlich auf meinem Bett ausstrecken kann, krampft sich hier und da nochmals ein Muskel zusammen, aber ich bin sehr froh, dass alles nun vorbei ist. Und dann tauchen sie auch wieder auf, die Gedanken und Ideen für neue Wettkämpfe. Das ist schon sehr speziell, wo ich doch 5 Stunden vorher noch felsenfest davon überzeugt war, dass das definitiv mein letzter Wettkampf war. Aber es gibt da einfach noch so viel zu entdecken...
Eine Weltmeisterschaft hat wohl ihre eigenen Bedingungen. Mit dem Damenteam sind wir 7. geworden und die Herren haben es sensationell auf den 3. Rang geschafft! Superstars! 
Jetzt steht die Erholung im Vordergrund mit viel Schlaf, trinken, essen und ausruhen. Um dann am 25.11. wieder durchzustarten: der nächste Vulkan steht an! Mehr dazu in Kürze! 

In diesem Sinne: Krisen kommen und Krisen gehen auch wieder.





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